Warum gehen wir so mit „unseren Fachkräften“ um? Immer wieder wird betont, wie wichtig reguläre Migration ist und dass Deutschland dringend auf Zuwachs an Fachkräften aus dem Ausland angewiesen ist.
Um ausländische Investoren anzulocken, will Friedrich Merz sogar einen „Chief Investment Officer“ berufen. Auch im Ausland soll künftig stärker für den Wirtschaftsstandort Deutschland geworben werden. Gleichzeitig zeigen aktuelle Studien: In den kommenden Jahren braucht Deutschland erhebliche Zuwanderung, um den Bedarf an Fachkräften überhaupt decken zu können.
Deutschlands Bedarf an Fachkräften in Zahlen
Deutschland benötigt jährlich rund 400.000 Menschen an Nettozuwanderung, um das Arbeitskräfteangebot stabil zu halten und den demografischen Wandel abzufedern. Das hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer Studie festgestellt (vgl. https://iab.de/presseinfo/nur-mit-einer-jaehrlichen-nettozuwanderung-von-400-000-personen-bleibt-das-arbeitskraefteangebot-langfristig-konstant/).
Bereits im März 2025 blieben über 387.000 qualifizierte Stellen unbesetzt. Prognosen gehen davon aus, dass sich diese Lücke bis 2028 auf etwa 770.000 offene Stellen ausweiten könnte – insbesondere in Gesundheit, Erziehung, Handel und IT (vgl. https://www.iwkoeln.de/studien/alexander-burstedde-fachkraeftezuwanderung-aus-eu-osterweiterung-versiegt-alternativen-benoetigt.html).
Diese Zahlen verdeutlichen, wie dringend Deutschland auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen ist, um Wohlstand und Innovationskraft langfristig zu sichern.
Wer gilt als Fachkraft?
Als Fachkraft gelten Personen, die ein Studium oder eine Ausbildung abgeschlossen haben und in Deutschland in einem ihrer Qualifikation entsprechenden Beruf arbeiten wollen. Erfasst sind aber auch diejenigen, die erst noch Fachkraft werden sollen – also Menschen, die hier eine Ausbildung oder ein Studium aufnehmen möchten.
Visumverfahren für Fachkräfte
Erforderlich ist in der Regel zunächst einmal ein Visum. Dieses muss bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung persönlich beantragt werden. Und hier beginnt für viele bereits das Problem: In manchen Ländern dauert es bis zu zwei, teils drei Jahre, bis überhaupt ein Termin zur Visumsbeantragung vergeben wird. Erst danach kann ein Antrag gestellt werden – und dann vergehen wiederum Monate, bis eine Entscheidung ergeht.
Dieses Problem besteht seit Jahren und hat sich nach meinem Eindruck zuletzt noch verschärft. Beim besten Willen kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass es Bemühungen gibt, diese Zustände zu verbessern. Teilweise wird sogar behauptet, es bestehe eine Absicht, diese Zustände bewusst nicht zu verändern oder gar herbeizuführen.
Beschleunigtes Fachkräfteverfahren – Anspruch und Realität
Um diese eklatanten Verzögerungen abzumildern, wurde das sogenannte Beschleunigte Fachkräfteverfahren eingeführt. Auf Initiative des Arbeitgebers wird es bei der zuständigen Ausländerbehörde in Deutschland begonnen. Dort erfolgt zunächst die Prüfung der Voraussetzungen, gegebenenfalls das Anerkennungsverfahren sowie die Einholung der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Einen Überblick zum Verfahren gibt beispielsweise die deutsche Botschaft in Belgrad (vgl. https://belgrad.diplo.de/rs-de/service/05-visaeinreise/2629296-2629296).
Wenn alle Bedingungen erfüllt sind, stellt die Ausländerbehörde eine Vorabzustimmung zum Visum aus und übermittelt diese an die Fachkraft im Ausland sowie an die deutsche Auslandsvertretung. Mit dieser Vorabzustimmung beantragt die Fachkraft das Visum. Dann soll innerhalb von drei Wochen ein Termin zur persönlichen Antragstellung gewährt werden und innerhalb von weiteren drei Wochen nach vollständiger Antragstellung über den Antrag entschieden werden.
Klingt gut – funktioniert aber nicht.
Beispiel aus der Praxis: Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin
Besonders anschaulich zeigt sich dies in zwei Verfahren, die ich derzeit vor dem Verwaltungsgericht Berlin führe:
Die Botschaft hatte über Monate nicht entschieden und die Anträge schließlich mit der Begründung abgelehnt, die Vorabzustimmung sei abgelaufen. Diese gilt nur drei Monate, da nach der gesetzgeberischen Vorstellung spätestens nach drei Wochen eine Entscheidung ergehen soll (vgl. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/migration/feg-anwendungshinweise-anlagen/anlage8_neu.pdf).
Zudem verwies die Botschaft auf angeblich fehlende Sprachkenntnisse der Ausbildungsbewerber. Dabei hatten meine Mandanten die Anmeldung zu einem vorbereitenden Sprachkurs vorgelegt, den sie vor Beginn der Ausbildung absolvieren sollten. Da der Kurs bereits im April begonnen hatte und wegen der Verzögerungen im Visumverfahren nicht besucht werden konnte, wertete die Botschaft die Anmeldung kurzerhand als „erledigt“.
All dies geschah, ohne eine erneute Zustimmung einzuholen – wie es in regulären Verfahren üblich ist – und ohne die Antragsteller darauf hinzuweisen, dass sie die Möglichkeit gehabt hätten, eine neue Sprachkursanmeldung vorzulegen.
Das Ergebnis
Hochmotivierte junge Menschen, die sich um Ausbildungs- oder Arbeitsplätze in Deutschland bemühen und sämtliche geforderten Nachweise vorlegen, werden durch überlange Verfahren faktisch sabotiert. Nicht ein bloßes Verzögern oder „Ausbremsen“ ist die Folge, sondern der Verlust von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen oder die Entscheidung, ein anderes Zuwanderungsland zu wählen. Während Politik und Wirtschaft die Bedeutung der Fachkräftezuwanderung gebetsmühlenartig betonen, scheitert die praktische Umsetzung täglich an den Realitäten der Verwaltungspraxis.
