Wie steht es um unseren Rechtsstaat?
Leider häuft sich in letzter Zeit das Gefühl, dass auch unser Rechtsstaat immer mehr durch hitzige politische Diskussionen beeinflusst wird und der Rechtsstaat nicht mehr Recht spricht, sondern bestimmte Meinungen am Recht vorbei durchsetzt.
Recht haben und Recht bekommen, entfernen sich immer weiter voneinander. Dieses Gefühl spüre ich besonders in einem aktuellen Mandat.
Heute erhielt ich in einem wichtigen Verfahren einen Beschluss vom Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, in dem das Gericht nur einen Absatz benötigte, um meinen Antrag abzulehnen – in einem Verfahren, in dem es sich um ein höchst komplexes Thema handelt. Meine Begründung umfasst knapp 50 Seiten und wird durch unterschiedlichste Argumente gestützt. Wirklich schlimm ist, dass das Gericht offensichtlich den angegriffenen Beschluss nicht richtig gelesen hat und sich in seiner kurzen Ablehnung auf eine falsche Grundlage stützt. Mit Erkennung der richtigen Grundlage hätte es zu einem anderen Ergebnis kommen müssen.
Aber von Anfang an:
Seit November vertrete ich eine gemeinnützige Organisation Kultur Neudenken (bekannt als Oyoun), die ein Kulturzentrum in Berlin-Neukölln betreibt (vgl. https://oyoun.de). Diese wird unter anderem auch durch den Berliner Senat gefördert. Abgesehen von der hohen finanziellen Förderung, hängen auch das Kulturzentrum, Menschen, Arbeitsplätze und Existenzen von dieser Förderung ab. Dafür liegt eine verbindliche Zusage aus November 2021 vor, die eine vierjährige Förderung verbindlich verspricht, also bis 2025 (Mehr dazu auf https://taz.de/Kulturpolitik-im-Nahost-Konflikt/!5968435/).
Nun kam es im Herbst mit dem Senator für Kunst und Kultur zu einer später weitreichenden Meinungsverschiedenheit. Grund dafür war eine Veranstaltung, organisiert von einem Verein linker jüdischer Menschen, ausgetragen in diesem Neuköllner Kulturzentrum. Zu dieser Zeit war jegliche kritische Meinung zu der bekanntlich sehr konservativen und rechts eingestellten Regierung in Israel unerwünscht. Da meine Mandantin und Vertreterin des Vereins nicht „gehorchte“, sondern weiterhin die Ansicht vertrat, Meinungsvielfalt zu fördern und zu wahren, fiel sie in die Ungunst des Senats.
Als Reaktion darauf versuchte die Senatsverwaltung mit allen Mitteln, sich von ihrer verbindlichen Zusage, die gemeinnützige Organisation und das Kulturzentrum weiterhin zu fördern, zu lösen. Ob das Ganze dabei rechtmäßig oder rechtswidrig passieren würde, spielte für den Senat offensichtlich keine Rolle. Die Fortführung der Förderung für 2024 wurde abgelehnt. Trotz dieser Zusicherung wurden Gelder nicht ausgezahlt.
Der erste Versuch sich zu lösen war, verdeckten Antisemitismus vorzuwerfen. Erfolglos. Dann den Rechtscharakter der Zusicherung in Frage zu stellen und zuletzt den Haushaltsplan so umzuschreiben, dass die Gelder künstlich gesperrt sind.
Dagegen klagten wir.
Im Eilverfahren entschied das Verwaltungsgericht in erster Instanz, dass vieles für die verbindliche Zusage spricht, aber einiges auch dagegen. Die Verbindlichkeit sei also uneindeutig. Was genau uneindeutig sei, wurde jedoch nicht ausgeführt. Im Ergebnis wurde unser Antrag abgelehnt. Der nächste Schritt, um sich gegen diese Entscheidung zu wehren, war das Erheben einer Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht. Nachdem wir nach langer Wartezeit endlich Einsicht in die Akte der Behörde erlangten, waren wir sehr positiv gestimmt, vor dem Oberverwaltungsgericht Recht zu bekommen. Denn es zeigte sich nicht nur aus Notizen und Vermerken aus der Behördenakte eindeutig, dass die Behörde eine verbindliche Zusage abgeben wollte und hat, sondern auch, dass ein internes Rechtsgutachten, aufgegeben nach dem Streit im Herbst 2023, ebenfalls von einer Zusicherung ausging. Auch der bereits oben genannte vermeintliche Antisemitismus fiel in sich zusammen. Ein solcher wurde eindeutig verneint. Trotzdem wurde die Förderung weiter verweigert, also obwohl die Behörde selbst davon ausging, dass ein Anspruch besteht. Ganz nach dem Motto: „Irgendwann geht denen schon die Puste aus.“ Nach diesen Unterlagen waren wir aber sicher, dass das Gericht uns Recht geben wird. Wir trugen nochmal ausführlich vor, und zwar so, wie es das Gesetz vorsieht, zur streitigen Frage der „Verbindlichkeit“ der Zusage aus Herbst 2021: „Wir fördern euch in den Jahren 2022-2025“.
Heute kam die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Es rügt, dass ich mich nicht „mit den im Ergebnis tragenden Erwägungen“ des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt hätte, „dass das Zusicherungsschreiben aus Herbst 2021 nicht dem Schriftformerfordernis entspräche“ und „damit die Darlegungsanforderungen verfehlt worden seien“. Die Beschwerde sei daher bereits aus formellen Gründen zu verwerfen. Mit den restlichen Fragen setzte sich das Gericht dagegen nicht auseinander.
Nun zu der Ursprungsfrage: „Wie geht es unserem Rechtsstaat?“. Das Verwaltungsgericht hat in keiner Weise das Schriftformerfordernis verneint. Sondern ist meiner Argumentation gefolgt, dass die Zusage dem gesetzlich vorgeschriebenen Schriftformerfordernis entspricht. Das bedeutet, nicht ich habe mich nicht ausreichend mit den Gründen auseinandergesetzt, sondern das Oberverwaltungsgericht, bestehend aus drei Berufsrichtern. Eine weitere Prüfung fand nicht statt. Das bedeutet auch, entweder hat das Gericht absichtlich eine fehlerhafte Grundlage herangezogen, um dadurch einen „Formfehler“ zu konstruieren oder hat den streitgegenständlichen Beschluss nicht (wirklich) gelesen. Was schlimmer ist, lasse ich offen. Der Beschluss endet mit den Worten: „Der Beschluss ist unanfechtbar.“ Die Unterschriften dieser Richter folgen. Ich würde sagen, unserem Rechtsstaat geht es schlecht.